Peckelsheim (red). Die bittere Erkenntnis, dass Glücksspielsucht die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen von allen Suchterkrankungen hervorruft, ist das Ergebnis der 3. Klausurtagung mit Gästen von SELBST.HILFE.SUCHT. e.V. Willebadessen im Rathaussaal in Peckelsheim. Betroffene, namhafte Experten und Suchttherapeuten referierten und diskutierten zu diesem Thema, das in seiner Brisanz auch vor den Bürgern des Kreises Höxter nicht Halt macht. Willebadessens Bürgermeister Hans Hermann Bluhm hatte die Schirmherrschaft über diese einzigartige Veranstaltung ihrer Art im Hochstift Paderborn übernommen. Und so war es auch der Bürgermeister, der zum allgemeinen Thema Sucht einen großen Bogen spannte, indem er auch die Öffentliche Hand im weitesten Sinn als süchtig bezeichnete. „Das Verlangen der Obrigkeit, das Verlangen des Staates nach Erhöhung der Einnahmen aus Steuern, hat bis heute nicht nachgelassen. Und ein Heilmittel gegen dieses staatliche Verlangen ist ebenfalls noch nicht gefunden worden. Von daher kann man durchaus konstatieren, dass auch der Staat selbst zu den Süchtigen – zumindest im weitesten Sinne – zählt“, so Hans Hermann Bluhm.

Für den Fachvortrag unter dem Thema >Pathologisches Glücksspiel – Aktuelle Entwicklungen und Behandlungsmöglichkeiten< hatte der gemeinnützige Verein mit der Diplom-Sozialpädagogin Ulrike Dickenhorst eine anerkannte Expertin gewinnen können. „An der Leiterin der Therapieabteilung der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh kommt, wenn es um das Thema Spielsucht geht, keiner vorbei“, sagte Veranstaltungsleiter und Moderator Wolfgang Laudage. Die Referentin zeichnete ein düsteres Bild: Rund eine Millionen Menschen in Deutschland sind pathologisch spielsüchtig, weitere fast eineinhalb Millionen haben mit dem Glücksspiel ein Problem, und fünfeinhalb Millionen Mitbürger spielen riskant. Die langjährige Suchttherapeutin konnte berichten, dass 75 Prozent ihrer Patienten ihre Spielsucht den öffentlich betriebenen Geldspielautomaten „verdanken“. Die Geldspielautomaten seien auch mit mehr als 50 Prozent am Gesamtumsatz aller Glücksspielanbieter – hierzu zählen Lotto, Toto, Spielbanken sowie auch die Fernsehlotterie – beteiligt.

Und auch die Öffentliche Hand ist bei den Einnahmen aus dieser Branche ganz vorne dabei: Immerhin sprudelten 2013 mehr als 3,2 Milliarden Euro in ihre Kassen, fast ebenso viel wie aus der Alkoholsteuer. „Die persönliche Verschuldung bei Pathologischem Spielverhalten ist in der Kategorie von über 50 000 Euro mehr als doppelt so hoch wie bei Kokainabhängigen und übertrifft die chronisch Alkoholabhängigen um mehr als das Dreifache“, so die Expertin. Haus und Hof zu verzocken sei bei Spielsüchtigen keine Seltenheit, von den dramatischen Folgen von Familie, Arbeitsplatz und sozialem Umfeld mal ganz zu schweigen.

Im anschließenden Podiumsgespräch prallten dann auch die Meinungen hart aufeinander, zumal sich mit Klaus-Dieter Leßmann, Vizevorsitzender des Europäischen Verbandes der Automatenaufsteller Forum, und Betreiber mehrerer Spielstätten in der Region, ein unmittelbarer Profiteur der Geldspielszene der Diskussion stellte. „Ein Prozent Geldspielsüchtige in Deutschland ist ein Prozent zuviel“, postulierte der Höxteraner und erläuterte, dass in seinen Spielhallen Menschen unter 21 Jahren keinen Zutritt hätten. Im übrigen werde die Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages nach Beendigung der Übergangsfristen erhebliche Auswirkungen auf die Anzahl der Spielstätten haben. In Warburg bedeute das zum Beispiel den Wegfall mindestens einer Spielhalle aufgrund der dann in Kraft tretenden Abstandsverordnung.

Während Michael Döring, Spielsuchttherapeut der Fachklinik Bad Fredeburg, die Wege und Ziele seiner Institution bei der Behandlung von Spielabhängigen darstellte und besonders darauf hinwies, dass seine Patienten – der überwiegende Teil sind Männer – für eine dauerhafte Abstinenz ihre Lebenssituation radikal verändern müssten, berichteten die angereisten mittlerweile „cleanen“ Betroffenen über ihre Suchtkarriere. Karl-Heinz, der von der Podiumsteilnehmerin Angelika in der Selbsthilfegruppe Spielsucht in Kassel betreut wird, schilderte drastisch, dass er mindestens ein ganzes Einfamilienhaus am Geldspielautomaten verzockt habe, und Davut Varli von gameover aus Gütersloh wies darauf hin, dass die Gesamtzahl der Betroffenen im Bereich Spielsucht jenseits der fünf Millionen liege. Man müsse hier die involvierten Familienmitglieder mit einbeziehen.

Als Ausblick dieser Info- und Fachveranstaltung bleibt festzuhalten: Der Staat handelt! Neben dem Inkrafttreten des bereits erwähnten Staatsvertrages gibt es in Hessen seit 2014 das neue Spielhallengesetz. Ohne Identifikation durch den Personalausweis kann kein Spieler mehr eine öffentliche Spielhalle betreten, im Online-System OASIS haben sich bis heute rund 14 000 Spielsüchtige freiwillig sperren lassen, und die Umsätze der Branche in diesem Bundesland sind nach Angaben des dortigen Fachverbandes um mehr als 20 Prozent zurückgegangen. Auch in NRW werden wohl nur gesetzliche Vorgaben den Spielstättenmarkt regulieren können. Aber es wird sicherlich auch weiterhin Schlupflöcher geben. „Während vor etlichen Jahren noch in den einzelnen Spielhallen EC-Geldautomaten den Spielsüchtigen hautnah mit frischem Geld versorgten, legten die Spielhallenbetreiber den Standort dieser Automaten nach einem gesetzlichen Verbot einfach vor die Haustür“, so Tagungsleiter Wolfgang Laudage.